Erna Hennicot-Schoepges: Das Kulturjahr 2007 soll nicht bloß ein Feuerwerk hochkarätiger Veranstaltungen werden

Luxemburger Wort: Frau Kulturministerin, wie konnte es zu diesem Missverständnis zwischen der Brüsseler Jury und den Vertretern Ihres Ministeriums kommen?

Erna Hennicot-Schoepges: Das Prozedere, eine Jury bei der Auswahl der europäischen Kulturhauptstadt einzuschalten, ist mit dem Rotationsprinzip, nach dem jährlich ein anderes Land die Kulturhauptstadt vorschlägt, eingeführt worden. Unsere Jury war zusammengesetzt aus Mitgliedern, denen die Großregion kein Begriff war. Sie konnte also nicht verstehen, was die politische Realität Großregion für eine Gegend bedeutet, in der die Nachbarn vor 60 Jahren noch Krieg gegeneinander geführt haben.

Unser Projekt war eingereicht worden, nachdem wir uns mit unseren Partnern während anderthalb Jahren beraten hatten.

Die Jury hatte nicht verstanden, dass die einzige Frage, die die Luxemburger an sie gestellt hatten, die war, ob sie sich vorstellen könnte, dass man das Konzept "Kulturhauptstadt 2007" auf die Großregion ausdehnen könnte. Die Luxemburger Kandidatur hatte klar gemacht, dass man nicht mit fünf Partnern aus vier verschiedenen Ländern, und zwar mehr als vier Jahre vor dem Event, einen Haushalt und einen Kalender bereit war abzugeben. Im Klartext: Luxemburg war nicht bereit, so wie es z.B. einige englische Städte gemacht haben, l oder 2 Mio. € zu investieren, um eine Kandidatur zu präsentieren, wenn von vorne herein festgestanden hätte, dass die Idee der Großregion nicht akzeptabel sei!

Die Jury leidet einfach darunter, dass ihr von der Kommission keine klaren Richtlinien mit auf den Weg gegeben wurden. Dieses Fehlen von Richtlinien hatte schon Monate zuvor, und zwar für die Jury von Patras 2006, das Europaparlament, unter Federführung von Michel Rocard, Präsident der Kulturkommission des EP, angemahnt.

Mittlerweile hat die Jury sich in einem Brief mit dem Konzept der überregionalen Organisation einverstanden erklärt. Mitte März kommenden Jahres werden die Juroren eine Tournee durch die Region machen und sich vor Ort von den laufenden Vorbereitungen überzeugen.

Die Entscheidung fällt ohnehin im europäischen Ministerrat, und da bin ich zuversichtlich, dass die Zustimmung zum Konzept groß sein wird.

Luxemburger Wort: Eine der Forderungen der Jury ist ja mittlerweile erfüllt. Am 15. Oktober hat die Vereinigung "Luxemburg, europäische Kulturhauptstadt 2007" mit Robert Garcia den Koordinator für das Kulturjahr ernannt. Wie kam es zu dieser Wahl?

Erna Hennicot-Schoepges: Die Stelle war offiziell ausgeschrieben worden, und 181 Kandidaturen lagen vor. Die Vereinigung "Kulturjahr 2007" hat anschließend die einzelnen Dossiers begutachtet und 17 Kandidaturen in die engere Auswähl genommen. Nach weiteren Überprüfungen und Gesprächen fiel die Wahl schließlich auf Robert Garcia.

Luxemburger Wort: Steht hinter der Nominierung der Wunsch, diesmal einen Luxemburger mit der Aufgabe zu betrauen?

Erna Hennicot-Schoepges: Das Profil von Robert Garcia war derart überragend, seine Präsentation derart überzeugend, dass die Vereinigung schnell zur Entscheidung gekommen ist.

Luxemburger Wort: Welches ist nun das konkrete Aufgabenfeld des Generalkoordinators. Ist er Programmgestalter oder eher, wie die Bezeichnung seiner Funktion es sagt, Koordinator zwischen den Aktionen der fünf Partnerregionen?

Erna Hennicot-Schoepges: Die Aufgabe ist selbstverständlich viel komplizierter als 1995. Mein Ziel ist es, dass wir die Aktion Kulturjahr wesentlich nachhaltiger und substanzieller gestalten - nicht bloß als Feuerwerk hochkarätiger Veranstaltungen.

Daher wurden in der Vorbereitung fünf große Themen entwikkelt, die langfristig, über das Jahr 2007 hinaus, erforscht und aufgearbeitet werden sollen. Luxemburg beschäftigt sich mit dem Thema "Migrationen" in seinen vielfältigen Ausprägungen. Im Saarland nimmt man sich der industriellen Entwicklung, ihrer Geschichte, der Pflege und Nutzbarmachung des industriellen Patrimoniums für die kommenden Generationen. Lothringen erforscht das Thema "Kultur und Gedächtnis", das die römische Vergangenheit der Region beinhaltet und sich zudem mit den Burgen, Schlössern, Militäranlagen sowie der Sprachgeschichte auseinandersetzt. Rheinland-Pfalz thematisiert die großen europäischen Persönlichkeiten aus der Region an. Die Wallonie und die deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien setzen sich mit Ausdrucksformen der Moderne auseinander.

Luxemburger Wort: Jede Region bestellt also zunächst ihr Feld.

Erna Hennicot-Schoepges: Die Themen zeigen eigentlich nur den inhaltlichen Rahmen auf. Praktisch ist es so, dass jede Region eine eigene Vereinigung gründet. Von diesen fünf Vereinigungen sitzen jeweils zwei Vertreter in der Dachorganisation "Luxemburg, europäische Rülturhauptstadt 2007", deren Generalkoordinator Robert Garcia ist. Diese Dachorganisation wird Mitte Februar einen Haushalt in Brüssel vorlegen.

Neben den fünf Regionen gibt es noch eine weitere Struktur, der "Quattropol" mit den Städten Luxemburg, Saarbrücken, Metz und Trier. Dieser "Quattropol" will als Struktur eingebunden werden, eine delikate Aufgabe, die noch gelöst werden muss.

Luxemburger Wort: Wie wird dieser Haushalt zusammengestellt? Gibt jeder Partner eigenes Geld in einen gemeinsamen Topf?

Erna Hennicot-Schoepges: 1995 hatten die Hauptstadt und Staat einen Teil der Finanzierung übernommen, der Rest wurde über Sponsoring gesichert. Auch diesmal wird es wohl wieder eine solche Mischfinanzierung geben.

Der Privatsektor ist gefordert und zwar wegen seiner eigenen Kohäsion. Was hält die Gesellschaft heute noch zusammen, worauf bildet sich eine Gesellschaft? Aus der großen Vielfalt an Strömungen, Kulturen und Mentalitäten wird es immer schwieriger, Gemeinsamkeiten herauszufiltern. Hier ist die Kulturpolitik gefordert. Sie kann die geforderte Kohäsion schaffen, weil sie Menschen über ihre Individualitäten hinaus zusammenführt.

Luxemburger Wort: Ist es nicht schwieriger geworden, Mäzene zu finden?

Erna Hennicot-Schoepges: Es bedarf ohne Zweifel heute einer stärkeren Motivation für die Wirtschaft, sich kulturell zu engagieren. Die Motivation muss jene sein, dass es keinen Sinn macht, die Gesellschaft in ihrem Zerfall nicht aufzuhalten, Ausgrenzungen nicht zu verhindern. Es muss dort investiert werden, wo Menschen zusammengeführt werden - in der Kultur.

Der finanzielle Aurwand wird für die Privatwirtschaft kein Fass ohne Boden bleiben. Ich möchte nur daran erinnern, dass wir das Kulturjahr 1995 mit einem Bonus von 12 Mio. Franken abgeschlossen haben. Ich bin daher nicht pessimistisch.

Luxemburger Wort: Läuft Luxemburg nicht Gefahr, am Ende der Zahlmeister der Aktion zu sein?

Erna Hennicot-Schoepges: Ich habe in dieser Hinsicht keine Befürchtungen. Unser eigenes Thema ist zum Teil schon über das Forschungsprogramm "Vivre" mit 12 Mio. € finanziert.

Die Verteilung der Finanzlast muss allerdings schon gerecht sein. Jeder muss sich im Rahmen der verschiedenen Projekte am Haushalt beteiligen. Ich möchte allerdings nicht, dass allein nach Themen oder Länderangeboten entschieden wird, es sollen regional die besten Projekte ausgewählt werden.

Luxemburger Wort: Es wird demnach wie 1995 auch wieder einen "appel à projets" geben?

Erna Hennicot-Schoepges: Diese Frage wird von dem Generalkoordinator für 2007, Robert Garcia, und dem Verwaltungsrat der neuen Vereinigung unter dem Vorsitz von Guy Dockendorf gerade diskutiert. Ich darf daran erinnern, dass ein "appel à projets", wenn er nicht ganz strengen Auswahlkriterien unterworfen wird, viel Frustration bei denen hervorrufen kann, deren Idee nicht zurückbehalten wurde. Die Planung soll transparent bleiben und in offener Diskussion geschehen. Die Kreativität der einzelnen Akteure muss angespornt werden.

Luxemburger Wort: Wie wollen Sie die Menschen im Jahre 2007 mobilisieren, dem Grundgedanken des Projektes entsprechend, die nationalen Grenzen zu überschreiten und sich an den Aktivitäten der jeweiligen Nachbarregionen zu beteiligen? Wie steht es mit den Verkehrsanbindungen?

Erna Hennicot-Schoepges: Eine verbesserte Verkehrsanbindung ist eines unserer langfristigen Ziele. Gerade eine Initiative wie das Kulturjahr eignet sich bestens, verkrustete Strukturen aufzubrechen. Konkrete Antworten kann ich jetzt noch keine geben, aber das Thema wird zweifelsohne zur Sprache kommen.

Luxemburger Wort: Wie sieht die Marketingstrategie aus?

Erna Hennicot-Schoepges: Das Kulturjahr ermöglicht es uns zum ersten Mal, überregionales Marketing zu machen. Drei Ziele sind dabei anzustreben: die Kooperation zwischen den Kulturinstituten vertiefen - hier gibt es bereits gut funktionierende Vorläufer, das Potenzial des Kulturangebotes in der Großregion sichtbar machen sowie eine grenzüberschreitende Kulturagentur ins Leben rufen, nach dem Modell unserer "Agence luxembourgeoise d'action culturelle".

Luxemburger Wort: Soll auf diesem Weg ein kleines Europa im Herzen des Kontinents entstehen?

Erna Hennicot-Schoepges: So könnte man es sich durchaus vorstellen. Im Rahmen der Erweiterung der Europäischen Union können wir beweisen, dass eine Region durchaus eine politische Realität und auch ein politischer Akteur sein kann.

Im Gegensatz zu anderen Gegenden Europas sind wir auf dem Gebiet Regionalpolitik wesentlich unbefangener. Die Region wird bei uns positiv, als zusammenführend wahrgenommen, während sie anderswo - etwa im Baskenland - als trennend erscheint.

Luxemburger Wort: Wie steht es mit den Infrastrukturen? Ist der Bedarf Luxemburgs mit den bereits laufenden und geplanten Projekten gedeckt?

Erna Hennicot-Schoepges: Es gibt sicher noch Bedarf. Allerdings stellt sich die Frage, was ist über das Jahr 2007 hinaus noch machbar und wo werden Prioritäten gesetzt? Für das Kulturjahr 2007 sind die Voraussetzungen allerdings wesentlich besser als für 1995. Insgesamt sind wir gut ausgestattet. Es gibt jedoch Bereiche, wie etwa die Archäologie, in denen angemessene Einrichtungen noch fehlen.

Trotz der langsamer drehenden Wirtschaft ist es nicht angebracht, in Pessimismus zu verfallen und überhaupt nicht mehr zu investieren. Denn schließlich generieren Investitionen wirtschaftliche Aktivitäten.

Es soll auch nicht so sein, dass die Kultur von zukünftigen Investitionen komplett ausgenommen wird, mit dem Argument, da sei in den letzten Jahren genug getan worden.

Insgesamt müssen wir aber allmählich dahin kommen, auch auf dem Gebiet der Infrastrukturen überregional und vernetzt zu denken. Man müsste die Nutzung der bestehenden Einrichtungen optimieren. In Forbach und in Völklingen stehen ähnliche Strukturen. Es muss also möglich sein, Veranstaltungen, die in Forbach stattfinden, in Völklingen zu wiederholen. Dies würde die Produktionskosten wesentlich senken.

Luxemburger Wort: Im September haben sie eine Gesetzesvorlage über die Reorganisation der Kulturinstitute unterbreitet? Welches sind Ziel und Zweck dieses neuen Gesetzes?

Erna Hennicot-Schoepges: Die letzte Reform der Kulturinstitute stammt aus dem Jahre 1988. Mein eigentlicher Vorschlag, den Kulturinstituten das Statut eines "établissement public" zu geben, wurde nicht zurückbehalten. Dieses neue Statut hätte den Einrichtungen eine größere Flexibilität und Autnomie, besonders bei der Rekrutierung von Mitarbeitern gegeben.

Der nun vorliegende Gesetzestext ist eine minimale Anpassung von Laufbahnen und Ernennungen. Des Weiteren werden das Literaturzentrum in Mersch und der "Centre national de l'audiovisuel" in Düdelingen zu eigenständigen Kulturinstituten.

Luxemburger Wort: In einem Artikel des Gesetzes wird vorgeschlagen, jedem Institut ein beratendes Gremium zur Seite zu stellen, das in bestimmten Fällen vermittelnd eingreifen kann. Ist dies auf die rezente Krise in der Nationalbibliothek zurückzuführen?

Erna Hennicot-Schoepges: Ja. Wir haben im Falle der Nationalbibliothek festgestellt, dass bei derartigen Problemen ein Ansprechpartner fehlt.

Luxemburger Wort: Wie ist es um den Personalbestand der Kulturinstitute bestellt?

Erna Hennicot-Schoepges: Das Personal ist dem numerus clausus und damit dem Einstellungsrhythmus im öffentlichen Dienst unterworfen. Die Kulturinstitute sind hoffnungslos unterbesetzt. Dieser Mangel an Personal führt dazu, dass in bestimmten Fällen auf Zeitverträge mit Spezialisten zurückgegriffen werden muss - etwa bei archäologischen Notgrabungen.

Die Institute können darüber hinaus verschiedenen Aufgaben gar nicht nachkommen, weil ihnen das nötige Personal fehlt. Es ist schon bedauerlich, dass etwa die Öffnungszeiten von Museen nicht ausgeweitet werden können, weil das Statut des Personals dies nicht erlaubt.

Luxemburger Wort: Konnten Sie sich bei ihren Kollegen in der Regierung in dieser Frage nicht durchsetzen?

Erna Hennicot-Schoepges: Ich bin beim Ministerium für den Öffentlichen Dienst abgeblitzt, das meine Reform derart verwässert hat, dass man nicht von einer positiven Haltung gegenüber der Kultur reden kann.

Luxemburger Wort: Wie sieht es denn bei der Personaldecke der im Bau befindlichen Einrichtungen aus?

Erna Hennicot-Schoepges: In den jeweiligen Gesetzen sind die Personalkosten bereits aufgelistet. Damit müsste garantiert sein, dass die neuen Institutionen funktionieren können. Wir müssen jedoch auch einmal dem Nachholbedarf bei den bestehenden Einrichtungen gerecht werden.

Luxemburger Wort: Es fällt auf, dass die Kultur allmählich in Frauenhand gleitet. Neben dem zuständigen Ministerium werden die Nationalbibliothek, das Nationalarchiv, das Literaturzentrum und ab dem nächsten Jahr das Denkmalschutzamt von Damen geleitet.

Erna Hennicot-Schoepges: Es ist nicht so, dass keine Männer ihre Kandidatur für die jeweiligen Posten eingereicht haben. Die Auswahl fiel strikt aufgrund des Profils und der unangefochtenen Kompetenzen der Postulanten. Dass nun die Hälfte der Kulturinstitute von Frauen geleitet werden, begrüße ich natürlich sehr.

Luxemburger Wort: Frau Kulturministerin, vielen Dank für dieses ausführliche Gespräch.

Dernière mise à jour